Inge Wienecke hat für ihr Buch über die Zigarrenfabrik Schöning Unterlagen zu Arisierungen gefunden. Die wichtigsten Ergebnisse finden Sie in diesem Beitrag.
Friedrich August Adolf Julius Schöning (17.12.1883 – 29.6.1952), der Vater unserer Zeitzeugin Elisabeth Schöning, war von 1924 bis zu seinem Tod Firmenchef der gleichnamigen Zigarrenfabrik.
Weil er nie Parteimitglied der NSDAP war, wurde er nach dem Einmarsch der Amerikaner in Vlotho am 3.05.1945 als Amtsbürgermeister eingesetzt und behielt dieses Amt auch unter der später britischen Besatzung bis zum 7.10.1946.
Während des 3. Reiches konnten es sich Julius Schöning und seine Familie erlauben, demonstrativ in jüdischen Geschäften einzukaufen. Die braunen Machthaber versuchten die Bevölkerung einzuschüchtern und davon abzubringen, „beim Juden“ zu kaufen, indem sie Aufpasser vor deren Geschäften postierten, die die Käufer zur Abschreckung fotografierten. Als Margarete Schöning trotz des Verbots wie gewöhnlich im Textilkaufhaus Loeb einkaufte, wurde sie mit ihrem Foto in dem NS-Kampfblatt „Stürmer“ öffentlich angeprangert. So gelangte diese Information auch an einen Kunden der Tabakfabrik, der sich missbilligend auf einer Postkarte dazu äußerte:
„Schneidemühl, den 3.4.37
Senden Sie bitte 8 Pfund Allerfreund [Tabaksorte] in 100 Gr. Packungen wie gehabt. Leider musste ich im „Stürmer“ lesen, dass Frau Schöning beim Juden ihren Einkauf getätigt hat. Es wäre besser, sie ginge zum Arzt. Wir geben uns hier alle Mühe um jüdische Waren auszumärzen und wollen nicht vom Regen in die Traufe kommen.
Heil Hitler! Riewe“ (1)
Auch Julius Schöning selbst kaufte sich mehrmals demonstrativ eine Krawatte in einem der jüdischen Textilgeschäfte, wenn es wieder von SA-Leuten „belagert“ wurde. Das sagen mehrere Zeitzeugen übereinstimmend aus.
Diese regimekritische Haltung hinderte Julius Schöning jedoch nicht daran, eine Zigarrenfirma aus dem Besitz eines jüdischen Fabrikanten zu „arisieren“. Die Firma J. Reiß OHG war seit 1856 in Mannheim bzw. (nach Zerstörung im Krieg 1943 und Wiederaufbau) in Viernheim bei Mannheim ansässig und dort in den 1930er Jahren eine der größten Zigarrenfabriken.
Paul Reiß, der Enkel des Gründers, geboren am 30.8.1880, führte nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1903 die Firma. Im April 1938 sahen sich Paul Reiß und seine Teilhaber Siegfried und Ludwig Reiß gezwungen, ihre Firma zu sehr ungünstigen Bedingungen an die Firma Schöning in Vlotho zu verkaufen. Er wollte „retten, was jetzt noch möglich ist“, wie er in einem Brief an seinen Anwalt Joseph Gentil schreibt.
Die Arisierung durch Julius Schöning und seinen Schwager Hermann Tintelnot (18.12.1912 – 21.1.1943, in Stalingrad gefallen, nicht in der Firma Tintelnot in Vlotho tätig, aber der Sohn von Paul Tintelnot) war sogar der „Frankfurter Zeitung“ am 25.4.1938 eine Meldung wert, denn schließlich wechselte hier für mehr als 2 Millionen RM eine der größten Zigarrenfabriken in Mannheim mit mehr als 2.000 Arbeitskräften und 13 Filialen in Baden, Hessen und Bayern den Besitzer. Von dem Kaufpreis in Höhe von 2.123.907,61 RM standen Paul Reiß 794.040,75 RM zu.
Paul Reiß wanderte daraufhin mit seiner Frau Else und den beiden Söhnen Georg David Sally und Peter Paul im August 1938 in die Niederlande aus, wo er eine Rohtabak-Handelsfirma gründete. Bei der Auswanderung in die Niederlande gab er sein Vermögen mit 650.000 RM an. Davon gingen noch herunter: 92.500 RM Devisensteuern, 229.650 RM Dego-Abgabe (2) und 107.000 RM Judenvermögensabgabe sowie 158.500 RM Reichsfluchtsteuer.
Die Judenvermögensabgabe für Paul Reiß wurde zunächst mit 195.400 RM festgesetzt und später auf 107.000 RM reduziert (3).
Nur noch ein Zehntel war ihm geblieben und das beschlagnahmte später die GeStaPo, als die Niederlande von der Hitlerregierung besetzt wurden. Im Juni 1941 wurde der älteste Sohn Georg in das KZ Mauthausen verschleppt, wo er kurz darauf starb. 1943 wurden Paul, seine Frau Else und ihr Sohn Peter in das KZ Bergen-Belsen verbracht, wo Paul Reiß 1944 starb. Seine Frau und sein jüngster Sohn Peter überlebten die Zeit im KZ und übersiedelten 1945 in die USA. In den Jahren 1948 ff. forderte Peter Ryce, wie er sich in den USA nannte, eine Rückerstattung von Schöning ein, die später in Form einer Firmenbeteiligung erfolgte. Peter Ryce (früher: Reiß) verklagte durch seinen Anwalt Joseph Gentil am 26.11.1952 das Land Baden-Württemberg wegen Wiedergutmachung (3).
Die ehemalige Zigarrenfabrik Reiß wurde unter dem Namen Julius Schöning & Co., Zigarrenfabriken Viernheim/Hessen später von dem jüngsten Sohn Gerhard Schöning geleitet.
Ob die für 43.000 RM arisierte Villa von Paul Reiß in Mannheim an der Werderstr. 36 von Gerhard Schöning bewohnt wurde, ist unklar. Das Foto der Villa befindet sich im Nachlass Schöning. (4)
In einer Veröffentlichung in der „Tabakzeitung“ vom 14.09.1956 stellt die Firma Schöning die Arisierung der Firma Reiß verharmlosend dar. Darin heißt es: „Ende der dreißiger Jahre übernahm das Unternehmen der alte Freund der Familie Reiß, Julius Schöning, der unter seinem Namen die bewährte Fachtradition des Hauses J. Reiß fortsetzte. Seit seinem Tode 1952 leitet sein Sohn die Firma.“ (Aus: „Die Tabak-Zeitung“, 23.09.1956) (5)
Am 16.04.1957 wird die Firma in Viernheim bei Mannheim noch einmal genannt, als das Hauptzollamt Minden die am 12.04.57 beantragte Steuererleichterung für die Firma Julius Schöning in Viernheim gewährt. (6)
„Arisierung“
Bereits seit dem 14.07.1933 gab es im Deutschen Reich sogenannte „Entjudungen“. Sie wurden geregelt durch das „Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“.
Die Folge waren Beschlagnahme, Nötigung und Zwangsverkauf zumeist kleinerer und mittlerer Betriebe und Geschäfte. Großbetriebe blieben bis auf wenige Ausnahmen vor 1938 noch verschont.
Dies änderte sich am 26.04.1938 mit dem „Gesetz über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ (über 5.000 RM). Nun setzte eine planmäßige „Arisierung“ ein, d.h. die rechtmäßigen jüdischen Eigentümer mussten dem „Ariseur“ ihren Besitz weit unter dem Realwert überlassen und selbst über diesen niedrigen Verkaufserlös durften sie nicht frei verfügen (Sperrkonto).
1938 „arisierte“ man auch Großbetriebe in jüdischem Besitz.
Als Sühnezahlung wegen des Mordes von Herschel Grynszpan an Ernst vom Rath wurde den Juden eine „Judenvermögensabgabe“ in Höhe von einer Milliarde RM auferlegt.
Am 12.11.1938 fand die „Arisierung“ in der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“ ihren Abschluss.
(Inge Wienecke)
Dieser Text ist eine Zusammenfassung des Kapitels über die Zigarrenfabrik Schöning in „Minske, wat schmickt de Zigarr fin…“ von Inge Wienecke, hg. vom Heimatverein Vlotho 2024. Das Buch ist erhältlich bei Vlotho-Marketing, Lange Str. 111, und enthält zusätzlich Abbildungen einiger Dokumente zu diesem Thema.
Quellen:
Bild von Julius Schöning: Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, F 220, Akte Nr. 73
(1) Ebenda, Akte Nr. 40
(2) an die DEutsche GOlddiskontbank zu entrichten
(3) Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. Ubstadt-Weiher 2013, S. 407 ff., S. 795
(4) Stiftung Wirtschaftsarchiv Dortmund, F 220, Akte Nr. 5
(5) Original der Zeitung im Heimatmuseum Vlotho
(6) Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, F 220, Akte Nr. 6