Beim Verlegen der Stolpersteine

Die »Mendel-Grundmann-Gesellschaft Vlotho e.V.« hat sich nach einem Mitglied der jüdischen Familie Grundmann benannt. Als Historiker dieses Vereins hat sich Manfred Kluge bereits mit der gesellschaftlichen Rolle der Grundmann-Familien im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigt. In der zweiten Folge informiert er nun über das Schicksal der einzelnen Familienmitglieder in der NS-Verfolgungszeit.

Drei Grundmann-Familien

Erich Grundmann

In den zwanziger Jahren gab es zunächst zwei Grundmann-Familien in Vlotho: Gustav Grundmann, verheiratet mit Hedwig Grundmann, geborene Felsenthal, sowie Max Grundmann, verheiratet mit Selma Grundmann, geborene Hirsch. Gustav und Max waren Söhne des Lohgerbers Michel Grundmann aus erster Ehe. Sie führten die Lohgerberei ihres Vaters als »Lederfabrik Grundmann & Söhne« weiter, die sie aber 1928 an Heinrich Sellmann verkauften.

Max Grundmann

Max Grundmann verstarb schon 1936. Die Witwe Selma Grundmann verzog ein Jahr später nach Opladen. Ein dritter Sohn des Michel Grundmann, Erich Grundmann, allerdings aus der zweiten Ehe, hatte 1914 Dora Mosheim, die Tochter des Papierfabrikanten Moses Mosheim, geheiratet. Aus beruflichen Gründen verzog Erich Grundmann mit seiner Ehefrau aber nach Offenbach, wo ihre drei Kinder geboren wurden: Richard, Magdalene und Leonie. In der Nähe von Darmstadt betrieb er in den zwanziger Jahren eine Zigarrenfabrik. 1930 kam Erich Grundmann nach Vlotho (Valdorf) zurück, um hier die kaufmännische Leitung der Papierfabrik der Gebrüder Mosheim zu übernehmen.

Familie Gustav Grundmann

Dora Grundmann

Die Familie des Gustav Grundmann konnte noch rechtzeitig vor den Juden-Deportationen nach Großbritannien emigrieren. Sohn Hans Grundmann, von Beruf Arzt, konnte zusammen mit seiner Ehefrau Margarete, die Zahnärztin war, schon 1936 nach Großbritannien ausreisen, zumal sie als Mediziner bevorzugt eine Einreisegenehmigung bekamen. Sohn Rudolf wollte eigentlich in die USA auswandern. Er hatte bereits eine Schiffskarte nach Übersee gebucht. Als er aber nach dem Novemberpogrom 1938 sechs Wochen im KZ Buchenwald verbringen musste, wollte er so schnell wie möglich Deutschland verlassen. Mit Hilfe seines Bruders kam er im Februar 1939 nach England. Er bemühte sich wiederum, seine Verlobte Margarethe Goldschmidt nach Großbritannien zu holen, was auch im August 1938 gelang. Sie heirateten 1942 in England.

Margret Grundmann, geborene  Goldschmidt, hat erstmals 2001 in einem ausführlichen Zeitungsinterview über ihr Schicksal und das Schicksal ihrer Familie berichtet. Ihre Mutter und zwei ihrer Brüder kamen in den Konzentrationslagern um. Ein Bruder konnte sich durch die Auswanderung nach Palästina retten. Über ihre Flucht nach England sagte sie in dem Zeitungsinterview: »Wenn ich noch einen weiteren Monat gewartet hätte, wäre ich zusammen mit meiner Mutter nach Sobibor deportiert worden…« 

Familie Erich Grundmann

Rudolf Grundmann

Auch die Familie des Erich Grundmann wollte gern Deutschland verlassen. Sie wollte in die USA auswandern. Einzelheiten sind aus den Mosheim-Briefen zu erfahren. Das sind Briefe der Familien Mosheim und Grundmann an Herbert Mosheim, der 1940 in die USA auswandern konnte. Die Briefe liegen der Mendel-Grundmann-Gesellschaft in englischer Übersetzung vor. Die Federführung in der Auswanderungsangelegenheit lag offensichtlich bei Dr. Julius Charig, der Rechtsanwalt in Stendal war. Er war verheiratet mit Ilse, einer Tochter des Levi Mosheim. Julius Charig schreibt am 13. März 1941 an Herbert Mosheim: »Hier redet man nur noch von Auswanderung. Wir müssen uns nämlich anstrengen, um die erforderlichen Papiere für die Auswanderung zu vervollständigen. Gestern war ich deswegen in Magdeburg und bekam die Auskunft, ich dürfte keinerlei Schwierigkeiten haben, wenn der Zeitpunkt käme.«

Aber Schwierigkeiten gab es bei der Auswanderung von allen Seiten. Die USA verfolgten eine restriktive Einwanderungspolitik. Trotz des Ansturms deutscher und europäischer Juden wurden die Einwandererquoten nicht erhöht. Außerdem mussten US-Bürger die Bürgschaft für Einwanderer übernehmen. Hier war Herbert Mosheim der Ansprechpartner für die Mosheim-Grundmann-Familien. Am 24. April 1941 geht ein Dankesbrief an Herbert, der die notwendigen Bürgschaftspapiere für alle mit Hilfe verschiedener Verwandter in den USA besorgt hat. Die Kriegsereignisse hatten bisher in den Mosheim-Briefen kaum einen Niederschlag gefunden.

Magdalene Grundmann

Ende Juni/Anfang Juli 1941 sind aber die auswanderungswilligen Juden direkt von der weltpolitischen Krisenlage betroffen, als die NS-Regierung auf Grund der zunehmenden Spannungen zwischen Deutschland und den USA alle amerikanischen Konsulate in Deutschland schließen lässt. Die Enttäuschung über die krisenhafte Entwicklung schlägt sich nun auch in den Mosheim-Briefen nieder:

»Unsere Hoffnungen, bald in die USA zu kommen, sind wieder den Bach hinuntergegangen, und jetzt, da die amerikanischen Konsulate geschlossen sind, scheint unsere Auswanderung in weiter Ferne… Es ist eine Schande, dass von Washington aus nichts für uns getan werden kann!« Und dann folgt die bange Frage: »Ob wir uns jemals wiedersehen?«

Ausreiseverbot und Deportation

Inzwischen – im Herbst 1941 – hatte sich auch die nationalsozialistische Judenpolitik grundsätzlich geändert. Am 23. Oktober 1941 erließ Himmler ein allgemeines Ausreiseverbot für alle Juden. Dem Ausreiseverbot folgten bald die ersten Deportationen »in den Osten«. Das bedeutete für die meisten Deportierten den sicheren Tod. Aus der Familie des Erich Grundmann konnte nur Sohn Richard rechtzeitig den Vernichtungsplänen der Nazis entkommen. Er wanderte schon 1937 in die USA aus, nachdem er hier nach Konflikten mit der NS-Jugend seines Lebens nicht mehr sicher war.

Leonie Warschauer

Am 31. März 1942 wurden Erich Grundmann mit Ehefrau Dora, geborene Mosheim, und den Töchtern Magdalene Grundmann und Leonie Warschauer, geborene  Grundmann, von Bielefeld aus ins Warschauer Ghetto deportiert. Es gibt einen authentischen Beleg, dass die Grundmann-Familie im Warschauer Ghetto war. In einem Telegramm, das Julius Charig aus Warschau über das Rote Kreuz absetzen konnte, heißt es: »16. April 1942, Vlotho, Lauenförde, Warburg, Lügde auch alle hier…« Mit »Vlotho« usw. sind weitere  Verwandte aus den Grundmann-Mosheim-Familien gemeint. Das war das letzte Lebenszeichen der Vlothoer Grundmann-Familie.

Aus dem Warschauer Ghetto gingen die Züge in Richtung des Vernichtungslagers Treblinka. Von dort kam niemand zurück. Vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus der  Familie Mosheim, jetzt Verwaltungssitz der Firma Lohmeier, erinnern acht Stolpersteine an die Opfer aus den Mosheim-Grundmann-Familien.

 

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